David Gräber schrieb in seinem Buch „Schulden. Die letzten 5000 Jahre.“ über „Bullshit Jobs“. Diese „Bullshit Jobs“ ermöglicht vielen das Leben in der Mitte der sog. Hochleistungsgesellschaft, seien es „Low-Brainer“, also Arbeitsplätze, für die man nicht eine allzu helle Kerze sein, aber dafür ordentlich Muskelkraft und ein gutes Immunsystem mitbringen muss. Wer in unserer heutigen Gesellschaft sich eine Pizza bestellt, erwartet, dass diese CO2-Neutral auf einem Fahrrad gebracht wird. Dass dabei jemand die Pizza auf einem Fahrrad unfallfrei durch den innerstädtischen Verkehr transportiert, durch dunkle Parks und schlechtes Wetter radelt, manchmal bei Schnee und auf Eis sich die geforderte Pizza Hawaii und Ben & Jerrys bringt, wird selten hinterfragt, und gar nicht thematisiert. Wer also einen sog. „Bullshit Job“ hat, ist selber schuld, und wird in einem obszönen Musikvideo von Katja Krasavice – DOGGY (Official Music Video hier: https://www.youtube.com/watch?v=xAZMu-qKLxE) aufs Korn genommen und darf’s sich nach seiner Schicht, wenn er Pech hat, selber (seine Pizza) machen.
Darüber hinaus scheint die Werbung immer mehr zu einer Peepshow zu verkommen, nackte Haut wird nicht mehr nur angedeutet, sondern nur noch dezent verdeckt, wie z.B. mit Bodypainting oder einem eisernen Vorhang. Sex Sells und erregt Aufmerksamkeit (nicht nur) einsamer Männer.
Wer kennt den Film „Idiocrazy“? Da wird aus der Kaffeerösterei „Star Bucks“ im Laufe der Zukunft „Star Butts“, der hübsche Hintern wird also wie in einer St.Pauli-Kneipe beim Kaffeeservieren gleich vorausgesetzt, um dann – Achtung: Satire! – als „Buttfuckers“ sich gleich mit einem veränderten Geschäftsfeld neu zu erfinden und zu enden. Wer Satire mag, ist bei den Amerikanern nicht selten an der richtigen Adresse, auch „Wag the Dog“ nahm einen inszenierten Krieg für die amerikanische Öffentlichkeit vorweg, um von einem Schlamassel des Präsidenten in seiner Präsidentensuite abzulenken. Dass dieser Film mit der Levinsky-Affäre zwar nur die Halbe Wahrheit offenbart, sei der kongenialen Autorenschaft verziehen.
Dennoch scheint unsere Gesellschaft über einen G-Punkt gegangen zu sein. Der gute Geschmack, der dezente Austausch von Blicken, eine erste Annäherung, eine verbindliche Werbung für ein Leben in Gemeinschaft spielen zurzeit keine wahrnehmbare Rolle. Dass dies für die meisten zwar immer noch wichtig ist, aber – erlaubt ist ja, was gefällt – auch mal hinten angestellt werden kann und darf und sogar soll, Hauptsache man kommt auch zwischendurch auf seine Kosten und muss nicht umsonst altern, ist vielen zwar noch klar, wird aber zusehends aus der Geellschaft herausgedrängt und mit einem alten Patrioarchat gleichgesetzt. Wenn also Eltern aus Muslimischen Ländern Angst um ihre 18jährige Tochter haben, dann müssen sie schon viel Glück haben, wenn Deutsche dafür Verständnis zeigen, und sich vielleicht im Sinne der muslimischen Tradition gegen eine freie und unverbindliche Entwicklung der Tochter aussprechen und der von zu Hause „Ausgebücksten“ ins Gewissen reden, sich nicht vom Typen aus der Schanze abhängig zu machen – „deine Eltern meinen es doch nur gut…!“
Dass der Autor in etliche Gesichter schaut, und die Seelen in Gefahr sieht, kommt nicht so gut an, man möchte fast meinen, ein religiöser, psychisch kranker Einzelmoralist mache sich zu viele Sorgen um Dinge, die er eh nicht versteht und verstehen wird. Sei es drum, die Kultur und die Inkaufnahme von Ausbeutung, auch die Eigene, und vor allem die Sexuelle, aber auch die Soziale und Mediale, zieht Kreise, die eigentlich nicht mehr akzeptabel sind.
Niemand mag besonders gerne übergewichtige Menschen, das ist das eine. Das andere ist es aber, dass man ihnen getane Arbeiten und Anerkennung für Leistungen verweigert und sogar abspricht. Verweigern tun es die, die mit dem E-Scooter in das Fitnessstudio fahren, um dann dort auf das Laufband zu gehen, um anschließend mit dem E-Scooter weiter zu einem Freund oder einer Freundin zu fahren, um sich dann dort eine Pizza Hawaii mit Eis zu bestellen, die dann ein Schwarzer, Asiate oder Südamerikaner auf seinem Fahrrad oder Skateboard vorbeibringt. Schöne neue Musikvideowelt!
P.S.: Ich kenne übrigens auch IT-Studenten, die sich damit ihr sStudium finanzieren. Warum, kann man nicht sagen, aber es scheint ein guter und planbarer Ausgleich zum Leben am Programmierschriebtisch zu sein.