Wenn um den 20. September herum die „letzte Nacht“ der Proms beginnt, schlägt in jedem Wahlengländer und Exil-Briten das Herz höher, wie es selten und – man mag es kaum sagen, ist aber so – nicht mal zu Weihnachten schlägt, so erhaben und „very british“ können halt eben nur die Engländer ihre Kultur feiern. Wo die englische Kirchenmusik fast nur aus Deutschen Komponisten besteht, also Händel und Bach, findet in der Proms-Nacht jeder wichtige englische Komponist sein Gehör und bei Parry’s „Jerusalem“ knien britische Templer nieder zum Gebet.
Man könnte sagen, das klassische Weihnachten, das „alle Jahre wieder“ der „stillen und heiligen Nacht“, ist das Deutsche überragende Gegenstück zu der Englischen „Last Nigh of the Proms“. Musikalisch nicht ganz falsch…
Nun verhält es sich aber so, dass bei dieser „Letzten Nacht“ es schon gar nicht mehr „very british“ war, sondern mit den blauen Flaggen mit gelben Sternen wurde das Hohe Lied auf Europa, zwar nicht gesungen, aber bewedelt, und wer wie ich eine tiefe Abneigung gegen… nein kleiner Spaß am rechten Rand, ich habe nichts gegen Europa und die Europaflagge, ich habe selber eine auf der Toilette hängen, denn nichts bringt einen Deutschen so sehr zum Geldscheißen wie die Europäische Union, und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es auch bei mir bald mal mit der Eierlegenden Wollmilchsau Deutscher Pass klappt. Jedenfalls hat aus meiner Sicht keine andere Fahne eine solche Dominanz verdient, wenn es darum geht, dass British Empire für eine Nacht aufleben zu lassen, wenn wir „Britains never be Slaves“ überzeugt singen, was im übrigen die Deutschen nie laut mitgesungen haben…
Würde man den Gedanken weiter spinnen, müsste man bei jedem Länderspiel der eigenen Nationalmannschaft eine Europaflagge dabei haben, um den Anschein zu zerstreuen, man sei für die eigene Mannschaft, das eigene Land, und will diese- so Gott bewahre – über eine andere Mannschaft siegen und triumphieren sehen, und wenn es nicht die Europaflagge ist, dann doch wenigstens eine Flagge der Nation, aus dem der Abwehrchef ursprünglich stammt, zum Beispiel bei den Holländern die Flagge Surinams oder bei den Belgiern die Flagge Kongos. Denn es soll sich kein Schwarzer Nationalspieler genötigt fühlen, unter der Flagge der früheren Kolonialmacht zu siegen.
Ich habe den Gedanken auf die Reichsbürgerbewegung in Deutschland ausgeweitet und empfehle dem nächsten Karl Herrmann auf der linken Offensivseite, sein Trikot mit einem schwarz-weiss-roten Patch zu übernhähen, um auf die Besatzung von seit 1945 hinzuweisen und wenn es politisch geächtet ist, soll er sich auch einen Patch mit der Deutsch-Russischen Freundschaft auf den Ärmel nähen, denn wer möchte schon für ein Land auflaufen, dass Israel unterstützt und Deutschland besetzt hält und dessen Statuten seit Gründung 1949 vorsehen, englische Musik im Radio zu spielen. Abgesehen von der NATO-Osterweiterung. – „How dare you?“ – Wo sind eigentlich all die Fussballer, die zum Spielstreik aufrufen, wenn man nicht die NATO-Osterweiterung seit 1990 rückgängig macht?
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, jedes dieser Themen, ob es einem gefällt, ob man es versteht, oder nicht, ist wichtig, nur hat so ziemlich jedes politische Thema seinen Platz in einem Parlament und eben nicht auf dem Fussballplatz! Oder hätten Sie Verständnis, wenn der HSV mit Daniel Peretz im Tor starten will, und es aus der Dortmunder Kabine Proteste hagelt, man laufe nicht auf, sollte der HSV-Trainer tatsächlich an einem Israeli in der Startaufstellung festhalten. Bliebe bei der Verletzung von Heuer Fernandez nur Hannes Herrmann, und da gehen wieder 1/3el nach Hause, denn Herrmann als Name in einer multikulturellen Gesellschaft, und auch noch im Tor – „das geht gar nicht und ist nicht mehr mein Verein“ – würde die Kanzlerin der Herzen der Geflüchteten der noch nicht so lange hier Lebenden mitteilen, erinnert sie unser Torwart doch viel zu sehr an einen Grenzschutzbeamten und das Tor an einen Stacheldraht, einen Grenzzaun. Demnach sollten, damit es nie wieder ein 1945 gibt, zukünftig alle Torhüter im Fussball Schwarze sein, da ein weißer Torhüter „White Supremecy“ symbolisiert und schwarze Stürmer mit einer Parade schickaniert.
Ok. Vielleicht ist der Gedankengang etwas weit fortgeschritten, aber es erklärt dennoch nicht, wieso ein Publikum bei einer Britischen Festtagsveranstaltung das Bedürfnis hatten, mit der Fahne des Eurovision Song Contest im Publikum zu stehen, Lena Meyer-Landrut hat doch gar nicht gesungen und Punkte für die Stücke gab es am Ende von den verschiedenen Public Views auch nicht. Also wer kam auf die Idee, die Brexit-Entscheidung von vor über 3 Jahren zum Thema einer immerwiederkehrenden klassischen Musikkulturveranstaltung in London zu machen?
Ich möchte ein anderes Beispiel aus dem Jahr 2001 geben, dass ich zufällig auf DVD habe: Die „Last Night of the Proms“ wenige Tage nach dem 11. September 2001. Was – wenn Sie sich jetzt nicht daran erinnern, wäre im nachhinein zu erwarten? Richtig, überall Flaggen der VSA im Publikum und dazu ein abgeändertes Programm, kein „Pomp & Circumstance“, ein Gedenken der Opfer in den World Trade Centern (allen drei eingestürzten Gebäuden) usw. Genau so war es! Die Proms wurde binnen weniger Tage auf ein getragenes Programm geändert, es wurde Beethovens 9. gespielt (wie beim G20-Gipfel in Hamburg auch – die Marschmusik des 21. Jahrhunderts!) und wenn auch nicht gegendert wurde, so doch bereits auf eine ausgewogene Mischung männlicher und weiblicher Solisten geachtet. Es hatte eigentlich nur gefehlt, dass Toni Blair mit George W. Bush im Rang oben einmal – wie die Königsfamilie – ins Aditorium gewunken hätten, oder wie bei dem Humor der Bushs anzunehmen, er genau in diesem Moment einen Spruch gebracht hätte, wie die beiden alten Greise aus der Muppetshow. Wär cool gewesen!
Gut, danach hätte man vielleicht ihm seinen Rücktritt nahe gelegt, im Anbetracht der vielen Opfer und Familien…
Nein, es ist nicht nur unrühmlich und moralisch inakzeptabel, Opfer eines Terroranschlags 24 Jahre später nicht zu würdigen oder gar zu verhöhnen, und das, was nach dem 11. September 2001 folgte, war ein unfassbar großes Leid für Familien auf der ganzen Welt. Ob es die Familien der US-Soldaten der Gefallenen im Irakkrieg waren, oder die gefallenen Soldaten Japans, ob es Britische Helfer vor Ort waren, oder die Opfer der Bomben, des Krieges vor Ort, die Irakischen Mütter und Kinder, die ehem. Soldaten Saddam Husseins. Irakkrieg und 11. September 2001 sind eine so große klaffende Wunde, dass es 20 Jahre danach zu einem Tabu avanciert, darüber zu sprechen. Vielleicht war es das, was die Generation nach dem Krieg Ende der 1960er erlebte, dass es eben doch nicht vorbei war, dass es unter Studenten eben etliche gab, die ein Trauma von zu Hause mitbekommen hatten, die das nicht überwanden.
Die Proteste gegen den Vietnamkrieg, Korea, manch einer fühlt sich vielleicht bei den heutigen Protesten gegen den Gaza-Krieg, der gestern offiziell beendet wurde, an diese Studentenproteste erinnert, und wer ist denn noch heute der Meinung, der Vietnamkrieg „sei richtig gewesen“? Wer würde denn behaupten, dass die drogensüchtigen Soldaten in der Heimat, die Antikriegsfilme wie „Apokalypse Now!“ und andere es wert gewesen waren, auf der anderen Seite des Erdballs eine bis dahin nie dagewesene logistische Unterstützung zu bieten für eine Invasion in ein Land, dass als Asiatischer Urwald nie zu gewinnen war? Wer meint denn heute, die USA „hätten durchhalten müssen“? Würde jemand heute so etwas über den Israel-Gaza-Krieg behaupten, er wäre in BR-Deutschland seines Lebens nicht mehr sicher. Zumindest in den Großstädten Hamburg und Berlin nicht. Aber das erklärt nicht, wieso die EU denn jetzt gut sein soll, und die einzelne Landesfahne nicht, dass man sich nicht mit ihr zur Proms traut?
Muss bald jeder Mensch, der einer Nation angehört, und sich ihrer nicht schämt, Angst um sein Leben haben? Ich befürchte, darauf läuft es irgendwann hinaus. Denn viele Länder in Afrika und dem Nahen Osten sind Kolonien mit Grenzen aus europäischen Kolonialabkommen, ob Sudan, Ägypten, Mali oder Syrien und Jordanien. Ich befürchte, die Nation wird „verpöhnt“ werden, weil sie Herrschaft über andere nicht nur symbolisiert, sondern beinhaltet und konserviert. Der Nationalpass wird zum Makel, am besten, man reist in den Urlaub wie ein Geflüchteter, um sich nicht wie ein Herrenmensch aufzuführen. Die Kreditkarte muss reichen, oder am besten Applepay oder Paypal. Steve Jobs oder Elon Musk.
Im Grunde wie die Frage, ob man lieber auf X oder facebook postet und liked… Bleibt auch noch die Frage „im weißen Raum“, woran die Seele länger hängen wird: Der Union Jack mit der Proms oder das X-Mas (mit Musk)? Wird man Händel, Bach und Franz Gruber („…er ist Hans Grubers Bruder.“) eher vermissen als Elgar, Sargent/Arne und Parry?
[Bekannt wurde Gruber durch seine Vertonung eines heute weltweit bekannten Weihnachtsgedichts des Hilfspriesters Joseph Mohr, Stille Nacht, heilige Nacht, das er am 24. Dezember 1818 in der Kirche St. Nikolaus in Oberndorf, in der er aushilfsweise als Organist tätig war, bei der Weihnachtsmette erstmals aufführte, wobei Joseph Mohr die Gitarre spielte.[4] Später arrangierte er das Lied auch für Orgel. F. X. Gruber und Joseph Mohr schufen weitere Kirchenlieder. https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Xaver_Gruber_(Komponist)]